Schatzkammer Alverskirchen

hunderte gewachsenen Bestand einer Dorfpfarrei des Münsterlandes wieder, und ist nicht zuletzt ein positives Beispiel eines breitgefächert gewachsenen und bewahrten, und eben nicht zerstörten Erbes. Weit in die Anfänge der Kirchengründung bzw. in die Phase eines wohl ersten stei- nernen Kirchenbaus mit Turm weist das bis heute in Gebrauch befindliche roma- nische Weihrauchfass (Kat.-Nr. 10) aus Bronze, dass in seiner Form sinnbildlich verweist auf die heilige Gottesstadt Jeru- salem. Seit mehr als 800 Jahren begleitet das um 1200 gegossene Weihrauchgefäß die Gemeinde, und belegt, dass in dieser Zeit selbst in den kleinen Pfarreien des Münsterlandes das unendlich kostbare, aus Arabien stammende Weihrauchharz benutzt wurde, um eine würdige Liturgie auszugestalten. Eine große zeitliche Lücke von ca. 450 Jahren klafft dann im Bestand der liturgi- schen Geräte, die vor allem durch die Ver- heerungen und die damit einhergehende Verarmung in der Zeit der Wiedertäu- ferunruhen, des Spanisch-niederländi- schen Krieges und des 30-jährigen Krie- ges entstand. 1591 suchten die Truppen des holländischen Grafen Eberstein das Dorf heim, 1 danach spanische Truppen. 2 Im April 1622 wurde das Dorf von dem badischen Oberst Georg von Fleckenstein gebrandschatzt, am 31. Januar 1623 von holländischen Scharen. 3 Bei Plünderun- gen, Brandschatzungen und durch Repa- rationsleistungen ist hier wahrscheinlich vieles zerstört 4 und geraubt worden, was nicht vergraben, oder hinter sichere Stadtmauern geflüchtet worden war. Denn dass die Gemeinde im späten Mittelalter über einen gewissen Wohl- stand verfügte, und auch liturgisches Gerät und Paramente besessen haben muss, zeigt neben dem Wiederaufbau des Kirchenschiffs im spätgotischen Stil nicht zuletzt die überlieferte und wert- volle große Marienglocke von 1513, das in etwa um 1545/50 (vielleicht unter Ver- wendung älterer Reste-Seitenwangen) gefertigte Patronats- und Chorgestühl, und das noch 1897 im Kunstdenkmäler- verzeichnis als abgebaut erwähnte goti- sche Sakramentshaus. Und natürlich darf man nicht vergessen, dass auch die über Jahrhunderte auf Haus Brückhausen resi- dierenden Patrizier- und später Adelsfa- milien, auf die viele Stiftungen zurück- gingen (die Familien Belholt, Bolandt, Herding und seit 1623 von Höfflinger) in der Zeit des 16. Jahrhunderts über ein nicht unerhebliches Vermögen verfügt haben müssen, worauf nicht zuletzt der prächtige Ausbau ihres Herrenhauses verweist. Nach dem bronzenen Rauchfass von ca. 1200 ist erst ein um 1650/60 gefertigter Messing-Altarleuchter (Kat.-Nr. 13) – von ehemals 4 oder 6 –, der sich in dieser Art vielfach in Kirchen des Münsterlandes findet, als zweitältestes Objekt des „Kir- chengerätes“ erhalten. Sein Vorhanden- sein verweist auf die Bestrebungen nach dem Friedensschluss von 1648 (Ende des 30-jährigen Krieges), die vielfach beraub- ten und vielerorts vernachlässigten Kir- chengebäude wieder würdig auszustat- ten, und zu einem „normalen“ liturgi- schen Alltag zurückzukehren. Wiederum einige Jahrzehnte später, um 1720 entstand ein schlichter Kelch (Kat.- Nr. 1), und um 1750/60 das leider in den 1960er Jahren in ein Vortragekreuz einge- arbeitete silberne Versehkreuz (Kat.-Nr. 15 Schon früh nutzte die Kirche für die Aus- gestaltung der Liturgie „Gerätschaften“, die zur Feier der Eucharistie und zur Aus- deutung der Riten und zur „Versinnbildli- chung“ des im Jahreskreis zu feiernden Lebens Jesu Christi, später auch der Heili- gen, unablässig waren. Nicht immer wur- den diese heiligen Geräte, die Vasa Sacra (in direkter Berührung mit Leib und Blut Jesu Christi: Kelch, Patene, Ziborium, Monstranz) und die Vasa non sacra (Leuchter, Messkänchen, Lavabo, Weih- rauchfass, etc.) ihrer Würde entsprechend wertgeschätzt und behandelt, denn schon seit Anbeginn der Kirche wurden vor allem die materiell kostbaren Altarge- räte immer wieder auf ihren Material- wert reduziert, verpfändet, eingeschmol- zen, in Kriegszeiten geraubt oder verun- treut, als Reparationsleistungen zerstört, und oder auch einfach als „unmodern“ angesehen, eingeschmolzen, kaum mehr gebraucht, abgestellt und vergessen. Im 20. Jahrhundert haben die „Metall- spenden“ im Rahmen des Ersten Welt- krieges enorme Mengen auch an histori- schem Kirchengerät, vor allem Arbeiten aus Messing und Bronze (Leuchter, Weih- rauchfässer, Grabplatten, Glocken) ver- nichtet, wobei durch die Auslese der Denkmalbehörden zumindest die wert- vollsten Stücke für Museen und Samm- lungen aussortiert werden konnten. Durch die Enteignung vieler Glockenbe- stände für Rüstungszwecke und die Flä- chenbombardements des Zweiten Welt- kriegs wurden neben den allgemeinen Zerstörungen vor allem unersetzliche Glockenbestände für immer vernichtet. Einem weiteren großen Aderlass öffne- ten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhun- derts die Beschlüsse des Zweiten Vatika- nischen Konzils Tür und Tor. Vielerorts „missdeutete“ man sie und „missbrauch- te“ den „frischen Wind“ in der Kirche, um sich vor allem der als „Kitsch“ verachte- tenWerke des Historismus zu entledigen, scheute aber auch vor der Zerstörung be- deutend älterer Werke nicht zurück. Wer heute belgische und niederländische An- tiquitätenhändler aufsucht, hat die Aus- wahl an Hunderten von Leuchtern, Kel- chen, Monstranzen, Reliquiaren, Reli- quienschreinen und an Unmengen von historisch wertvollen Paramenten, die hier gestrandet und zur Handelsware verkom- men – aber immerhin erhalten geblieben sind. Erst seit den 1980er Jahren führte ein Umdenken zur Wiedereinbringung von zum Teil auf Dachböden oder in anderen Lagerräumen erhaltenen und somit nicht zerstörten Ausstattungsobjekten. Die neue Kunstkammer hier in St. Agatha hat die Aufgabe, das bewahrte Erbe zu sammeln, wieder ins Bewusstsein der Gemeinde zurückzuführen und gleichzei- tig für liturgische Feste und Höhepunkte des Kirchenjahres nutzbar zu halten. Das heute noch von der Kirchengemein- de St. Agatha bewahrte Erbe an Paramen- ten, liturgischem Gerät, aber auch an all- gemeiner Ausstattung des Kirchenrau- mes spiegelt beispielhaft den über Jahr- 14 Vasa sacra et non sacra Liturgisches Erbe von Alverskirchen Markus Kamps

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