Schatzkammer Alverskirchen
Aus dieser Zeit um 1830-40 stammen eine weiße und eine rote Kasel , die wiederum als Schenkung der Herrschaft von Gut Brückhausen zu betrachten sind. Die kirchliche Ausstattungskunst des His- torismus ist durch Rückgriffe auf his- torische Vorbilder geprägt. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts knüpfte man noch an Vorbilder der Barockzeit und des Rokoko an. Vor allem in den Manufak- turen in Lyon fertigte man spezielle Para- mentenstoffe zunächst nach Vorlagen des 18. Jahrhunderts, die mithilfe neuer Webtechniken erschwinglich waren und in großer Zahl produziert werden kon- nten. Als „ornements d’eglise“ wurden diese frühen Paramentenstoffe über französische Händler als Halbfertigware verbreitet. 14 So liegt die Besonderheit beider Kaseln darin, dass sie als komplette Messgarni- turen mit Zubehör als Coupon der Form entsprechend entworfen sind, wobei Gewandstoff und Besätze aufeinander Bezug nehmen. Die Kasel aus weißgrundigem Seiden- gewebe mit naturalistischen Rosenran- ken und Ähren (Kat.-Nr. 21) zeigt auf den Besätzen üppig wuchernde goldene Akanthuswellenranken, die sich zu Kar- tuschen zusammenschließen und in kla- rer Spiegelsymmetrie kleine Szenerien hinterfangen und rahmen. Das Kreuz zeigt einen Engelzyklus in drei hierar- chischen Stufen: zuunterst zwei ste- hende Engel, die die Tafeln mit den Zehn Geboten halten; darüber zwei Engel in den Wolken, die das Kreuz Christi und die 57 Ausbreitung von Nordeuropa bis nach Frankreich und Spanien betrachtet wer- den kann, repräsentiert das Fragment in Alverskirchen eine westfälische Tradition aus nachreformatorischer Zeit. Große Übereinstimmungen mit einem verwan- ten Hungertuch aus der Pfarrkirche St. Pankratius in Buldern (Fragmente heute in Museumsbesitz) und stilistische Merk- male flächengebundener Darstellung führten zu der Annahme, dass die Tücher als Klosterarbeit nach gemeinsamen Vor- lagen gearbeitet wurden. Als vorbildhaft wurden Holzschnitte oder Andachts- graphik aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts vermutet. 10 Als besonders qualitätvolle Gewänder der Barockzeit sind eine Kasel aus grüner Seide (Kat.-Nr. 19) und ein vollständiger Ornat aus weißem Seidengewebe mit zarten Streublümchen (Kat.-Nr. 20) erhal- ten. Während die Seidenstoffe um 1740 und 1760 entstanden, können beide Ge- wänder als wenig später zu datierende höfische Stiftungen betrachtet werden. Nicht selten gelangten kostbare Seiden- stoffe französischer oder englischer Pro- venienz, die zunächst primär als fest- liches Sommerkleid oder als Hochzeits- kleid getragen wurden, später in kirch- lichen Besitz. Vor memorialem Hinter- grund wurden sie in Zweitverwendung für die Umarbeitung zu Paramenten geschenkt. Der kleinteilige florale Dekor beider Seidenstoffe in sommerlicher Leichtigkeit ist sehr zurückhaltend und wird durch die regelmäßige Textur des Grundes und farbige Akzente der Bro- schierung belebt. Stoffe dieser Art wur- den in Folge der Französischen Revolution und damit einhergehender Verlagerung des Käuferpotentials im raschen Wechsel der Moden in Europa zahlreich verbreitet. Vielfach sind sie auch für Paramente ver- wendet worden. Vor allem bei rheinischen und westfä- lischen Paramenten ist seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu beobach- ten, dass Kreuz und Stab der Kaseln nicht nur durch reiche Gold- oder Silberborten konturiert, sondern auch durch die Ver- wendung andersartiger Seidenstoffe eine deutliche Betonung der Kreuzform her- beigeführt wurde. Die überlieferte Aktu- alisierung der grünen Kasel durch die Applikation eines Christusmonogramms auf beigefarbenem Grund in der Zeit um 1940 reflektiert diese Besonderheit und sinnträchtige Akzentuierung. Die Verän- derung belegt zugleich die hohe Wert- schätzung des Gewandes, die seinen Erhalt bis in unsere Tage sicherte. 11 Dass auch der weiße Ornat bis zum Zweiten Vatikanum an hohen Festtagen in litur- gischem Gebrauch war, dokumentiert eine historische Fotografie anlässlich des silbernen Priesterjubiläums von Pfarrer Ferdinand Brüning am 23. Juli 1961. 12 Die Zeit des frühen 19. Jahrhunderts kann als eine weitere Blütezeit der Pfarrei betrachtet werden, in der der junge Pfar- rer Dr. Heinrich Lohmann (auf der Pfarr- stelle von 1805-1877) die Geschicke der Gemeinde lenkte. Noch verblieb der Hochaltar aus der Zeit des Rokoko, während die steinerne Kanzel von 1580 durch eine holzgeschnitzte 1821 ersetzt wurde. Vier Jahre später kamen neue Kirchenbänke hinzu und 1836 konnte eine neue Orgel des Warendorfer Orgel- bauers Pohlmann erklingen. 13 56 Silbernes Priesterjubiläum von Pfarrer Ferdinand Brüning am 23. Juli 1961 in Alverskirchen. Die Konzelebranten tragen die Dalmatiken des weißen barocken Ornats. (Foto: Dorfarchiv Alverskirchen)
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