Schatzkammer Alverskirchen
St. Agatha gehört dieser Zeitspanne des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts an. 1886 wurde Pfarrer Hermann Depen- brock (1841-1926), der seit 1884 als Kaplan in Alverskirchen wirkte, zum Pfar- rer ernannt. Bereits als Kaplan begann er eine „Chronik der Kirchengemeinde St. Agatha Alverskirchen“, in der er alle Ereignisse und Veränderungen während seiner Amtszeit notierte. Da er die Kirche bei Amtsantritt „in einem unwürdigen, oder doch wenigstens recht unschönen Zustand“ vorfand, suchte er diesen im Sinne einer vereinheitlichenden Erneu- erung zu bessern. Im Jahre 1886 vermerk- te er: „Paramente, hl. Gefäße, Fahnen, Krippe etc. bedurften gar sehr der Ergän- zung resp. eines anständigen Ersatzes.“ 19 Die bedeutendste Veränderung war die Anschaffung eines neugotischen Hochal- tars nach den Plänen Prof. August Rinck- lakes, der 1890 geweiht werden konnte. Zahlreiche Heiligenfiguren, ein Beicht- stuhl und ein neuer Taufbrunnen runde- ten die programmatische Umgestaltung der Kircheninneren ab. Von den oben genannten Fahnen haben sich sechszehn Exemplare aus der Zeit vom ersten Drittel des 19. Jahrhunderts bis zum 20. Jahrhundert erhalten, die je- doch wegen ihres Erhaltungszustandes hier nicht zur Ausstellung kommen. 20 Zahlreiche Gewänder lassen sich der Amtszeit Pfarrer Depenbrocks zuordnen, wobei die Weihe des Hochaltars ein bedeutender Anlass für die Neuanschaf- 59 Bibel halten, während zwei rot gewan- dete Engel in himmlischer Sphäre einen Kelch mit Hostie ins Zentrum des Kreuzes rücken. Der Stab der Vorderseite führt die Motivik mit dem Verweis auf das Alte und das Neue Testament fort. Als Zutat des späteren 19. Jahrhunderts sind die Besätze mit goldenen Posa- mentenborten eingefasst, während sich auf der Futterseite die ursprüngliche helle Leinwand erhalten hat. 15 Näher datiert werden kann die vornehme rote Kasel (Kat.-Nr. 22) aufgrund des am unteren Saum der Schauseite appli- zierten Stifterwappens, das ein bekröntes Allianzwappen der Familien von Nagel- Doornick und von Merveldt/zu Lembeck in goldener Treibarbeit zeigt: Heraldisch rechts in quadriertem Feld, eine außen mit fünf Lilien bestückte runde Schnalle mit links aufliegendem Dorn (von Nagel) und einen schwarzen dachartigen Balken in weißem Feld (von Doornick); daneben das Stammwappen der Grafen von Merveldt: drei schrägrechte und drei schräglinke Balken, die sich nach Art eines Gitters kreuzen und sparrenförmig zusammentreffen. Die Felder 1 und 4 zei- gen ein von drei Nägeln bewinkeltes Nes- selblatt; die Felder 2 und 3 bilden sechs schwarz-weiße Rechtecke (Wappen der Familie Westerholt zu Lembeck) ab. Die Kasel ist als Stiftung des August Frei- herrn von Nagel-Doornick (31.8.1799- 20.2.1839) und seiner Frau Huberta Gräfin von Merveldt, Freiin zu Lembeck (3.4.1814-14.6.1856) zu betrachten. Aller Wahrscheinlichkeit nach schenkten sie die Kasel anlässlich ihrer Hochzeit am 14. Mai 1833. Das Stifterpaar war über die Linie von Vittinghoff gen. Schell zu Schel- lenberg mit Friedrich Freiherr von Höf- flinger zu Brückhausen und Osterhaus (1769-1861) verwandt. Diese Verwandt- schaft begründet die Verbindung zu St. Agatha Alverskirchen. 16 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun- derts wurde die Kirchenkunst in Deutsch- land durch die Rückwendung auf Vor- bilder des Mittelalters geprägt. Als pro- grammatische Idealvorstellung galt das stilreine Gesamtkunstwerk, das in allen Bereichen der Ausgestaltung des Kirchen- raums zum Ausdruck kommen sollte. Die Paramente der Barockzeit mit ihren Blütenmustern und ihrer leuchtenden Farbigkeit, häufig auch der Kaselschnitt in der verkürzten Bassgeigenform, wur- den als „frivol, flatterhaft, geistlos und tändelnd“ 17 empfunden. Bedeutenden Anteil an der Erneuerungsbewegung hat- te der Aachener Kanoniker Franz Bock (1823–1899), der als einer der ersten Tex- tilforscher und -sammler die Paramen- tenreform in Deutschland einleitete. 18 Auf der Basis seiner Sammlung mittelal- terlicher Seidenstoffe und der Publikatio- nen Bocks wurden seit Mitte des 19. Jahrhunderts die ersten Paramenten- stoffe in der Krefelder Seidenmanufaktur Josef F. Casaretto gefertigt. Schnell ent- wickelte sich Krefeld zum bedeutendsten Zentrum der Paramentenstoffproduktion in Deutschland. Neben mittelalterlichen Motiven zeigten die neuen historisti- schen Stoffmuster, die zumeist als einfar- bige Seidendamaste gewebt wurden, christliche Symbole wie Ähren, Kreuze, Dornenkronen, Lilien in Gittermustern mit Vierpässen oder Kreismedaillons. Leicht modifiziert wurden diese Muster noch bis in die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts gefertigt (vgl. Kat.-Nr. 37). Das Gros der Paramente im Bestand von 58 Der Kirchenraum um 1900 mit dem neugotischen Hochaltar und den von Pfarrer Depenbrock in Auftrag gegebenen Heiligenfiguren. Im dreiseitig endenden Chorschluss sind bestickte Wandbehänge zuseiten des Hochaltares erkennbar, die heute verloren sind. (Foto: Dorfarchiv Alverskirchen)
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